Donnerstag, 12. März 2009

Allein unter vielen - eine Klage der Zeit

"Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, die Tiefen der jugendlichen Seele neu ergründen zu wollen; in Einsamkeit und schulischen Ängsten, zerbrechlichen Freundschaften und unglücklicher Liebe umkreist es keine neuen Themen. Aber dem Leser einen neuen Blick auf die Dinge zu verschaffen, vermag es durchaus." Genauso eindringlich wie der Buchklappentext es verrät, ist auch der Inhalt des 67seitigen Büchleins von Lucas Fassnacht. Der 21jährige im hessischen Dieburg aufgewachsene Student studiert Germanistik und Griechische Philosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Neben dem Studium schreibt er Gedichte und Kurzgeschichten, die er auf Poetry Slams vorträgt. Seine Erzählung "Allein unter vielen" ist im vergangenen Jahr im Wagner-Verlag erschienen, einem Verlag, der sich bemüht, Autoren zu unterstützen, die in ihren Büchern Themen wie "Selbstvertrauen" und "Persönlichkeit" zur Sprache bringen.

"Beurteilen Sie, ob ich alles versuchte, die Hoffnungen zu erlangen, die sich mir boten. Sagen Sie, ob ich daran schuld bin, wenn ich sie nicht behalten konnte", begrüßt der Ich-Erzähler seine Leser auf den ersten Seiten seines Buches und tritt damit in direkten Kontakt mit seinen Lesern.
Der Ich-Erzähler stellt sich als 17jährige vor, die als Einzelkind zusammen mit ihren Eltern in einem kleinen Reihenhäuschen in "einer mittelkleinen Stadt" wohnt. Diese Umgebung beschreibt "sie" sehr präzise. So präzise, dass der Leser schon zu Beginn des Buches ahnt, dass der Erzähler eigentlich eine Botschaft zu vermitteln versucht, die weitergeht."In Einsamkeit und schulischen Ängsten, zerbrechlichen Freundschaften und unglücklicher Liebe umkreist es keine neuen Themen" verspricht das Buch noch vor dem ersten Lesen und der Lektor macht keine leeren Versprechungen. Die Protagonistin fühlt sich eingeengt in ihrer Welt, angewidert von der Enge ihres Elternhauses und der Oberflächlichkeit ihrer Eltern. Mit Sarkasmus schafft sie sich Luft: Das "Ehepaar Greiß. Das hatte spät seine Kinder bekommen, sodass es diese erst losgeworden war, als es für ein mehrstöckiges Haus das Alter bereits verloren hatte. Trotzdem beschlossen die beiden, ihren Tod darin abzuwarten - unglücklicherweise verstarb ihr Mann daheim und betrübt zog die verwitwete Frau Greiß ins Altersheim." Der ironische und anklagende Ton des Erzählers durchzieht das ganze Buch. Seine Eltern schicken die Protagonistin zum Psychotherapeuten, weil sie mit seiner Intelligenz und Weitsicht nicht klar kommen: "Als ich zurück ins Wartezimmer kam, wo meine Mutter auf mich wartete, fielen mir all die Menschen dort auf. Sie alle, so unsäglich nichtssagend schienen sie mir. "

Stellenweise wirkt die Klage des Erzählers nicht sehr überzeugend. Er sieht sich als hilfloses Individuum in einer blinden Gesellschaft: "Ich vermute immer noch, dass die Ereignisse einander gerade in falschen Momenten umarmten, außen vorließen. Obwohl ich meine Hausaufgaben brav erledigt habe, verstanden habe ich sie selten." Diese Passage schildert die ganze Hilflosigkeit des Erzählers. Sein Missfallen an der Gesellschaft und an Erscheinungen wie Gier, Außenseitertum sowie die Suche nach Halt und Anerkennung wirken dann nicht überzeugend, wenn er zugibt, sich in seine Situation kompromisslos zu fügen. Warum ist die Protagonistin "ohne Freunde oder sonst jemanden, mit dem ich die Zeit hätte verbringen können?" Zwei Freunde begleiten sie auf ihrem Weg: Sofie, drogenabhängig und mehrmals, auch zum Schluss, in derEntzugsklinik und Benedict, ihre große Liebe sind es, denen sie während ihrer Freundschaft keine Nähe einräumen kann. Denn "das Unglück bestand darin, dass auch umgekehrt niemand um meine Bekanntschaft bemüht gewesen wäre." Woran liegt das? An der mangelnden Überzeugungskraft der Strategie der Protagonistin. Sich in einem Brief kritisch und anklagend zu äußern ist ein gutes Mittel der Demokratie. Schon aber die Form des Briefs schafft eine gewisse Distanz. Ein Brief ist etwas sehr Persönliches, soll er aber hier nicht alle Mitglieder der Gesellschaft erreichen? Das offene Ende des Buches erreicht seinen Höhepunkt in der Anklage, die in dem versuchten Selbstmord der Protagonistin gipfelt. Warum er nicht gelang? Weil ihre Angst vor dieser Tat zu groß war und zugleich eine Ermahnung ist, dass angesichts einer solchen Hilflosigkeit der Jugend dringend gesellschaftlicher Rat gefordert ist. Wie wäre es mit ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Respekt?

Lucas Fassnacht: "Allein unter vielen", Erzählung, Wagner-Verlag, 2008,
67 Seiten, 7,90 Euro
erhältlich unter
http://www.wagner-verlag.de.buch.php

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