Sonntag, 8. März 2009

Rezension zu Jhumpa Lahiris "Einmal im Leben"/ "Unaccustomed earth"

Jhumpa Lahiri erhielt bereits vor neun Jahren für ihre erste Kurzgeschichtensammlung „Interpreter of Maladies“ den Pulitzer-Preis für Literatur.
Der deutsche Titel „Melancholie der Ankunft“ könnte zur Beschreibung von Lahiris Gesamtkunstwerk dienen. Denn genau wie in ihrem Roman „The Namesake“ geht es auch in „Melancholie der Ankunft“ um das Gefühl der Heimatlosigkeit. Ihr neuer, im Rowohlt Verlag erschienener Erzählband „Einmal im Leben“, ist der ebenfalls im vergangenen Jahr im „Alfred Knopf“ - Verlag erschienenen Sammlung von Kurzgeschichten, „Unaccustomed earth“, entnommen. Die Liebesgeschichte ist die Zusammenfassung dreier Geschichten, die alle vom Leben und Lieben der Protagonisten handeln. Auch diese Kurzgeschichtensammlung spannt auf den ersten Blick den Reigen in ihrem Gesamtwerk weiter. Dank ihrer einfachen Sprache lässt die Autorin dem Leser viel Spielraum. Genau wie ihre Vorgänger ist die Geschichte zweier Liebenden eine Geschichte ohne eine komplizierte Dramatik. Dennoch berührt den Leser Lahiris Stoff in der Geschichte, die den Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ trägt. Erzählt aus beider Erfahrungsraum schildert Hema in der Du-Perspektive ihre Gefühle zu Kaushik. In der ersten Hälfte des Buches klagt sie dazu über Probleme mit ihren Eltern. Bei den Eltern der Protagonisten handelt es sich um bengalische Einwanderer. Hema und Kaushik lernen sich als Jugendliche in Hemas Elternhaus in Massachusetts kennen. Beide können zunächst wenig miteinander anfangen. Hema, drei Jahre jünger als Kaushik, ist konfrontiert mit dem Erwachsenwerden. Sie kämpft um Anerkennung in der Schule und in ihrem Elternhaus. Doch mag es nicht nur auf den deutschen Leser befremdlich wirken, dass Hema ihre Schlafstätte im Zimmer ihrer Eltern findet. Hema kann sich mit den kulturellen Traditionen ihrer Eltern nicht anfreunden. „Unabhängigkeit“ meint in diesem Zusammenhang die räumliche Trennung. Als die Eltern der Protagonistin auch noch Kaushiks gesamte Familie in ihrem Haus aufnehmen, ist Hema ihrer Privatsphäre vollständig beraubt. Doch ihre Neugier erwacht. Während Hema erste Liebesgefühle verspürt, bleibt Kaushik zurückhaltend. Denn auch Kaushik hat Probleme. So verrät er Hema am Ende des ersten Teils, dass seine Mutter sehr krank ist und zum Sterben nach Neuengland gekommen ist, um endlich ihre Anonymität zu wahren. Während zwischen beiden damit das Eis gebrochen und der Akt der Fremdheit überwunden zu sein scheint, führt das Schicksal beider Wege in unterschiedliche Richtungen. Während es Hema gelingt, ihr eigenes Leben zu führen, wendet sich Kaushik in der zweiten Geschichte des Erzählbandes an Hema. Kaushik hat seit dem Tod seiner Mutter seine Wurzeln verloren. Mit Unverständnis, Wut und Trauer reagiert er auf die Ankündigung seines Vaters von dessen anstehender Hochzeit mit einer auffallend jüngeren Frau. Unbehagen bereitet Kaushik die Tatsache, dass sein Vater seine neue Frau, Chitra, nicht aus Liebe, sondern zur Verrichtung der täglich anfallenden Hausarbeit geheiratet hat. Trotzdem versucht Kaushik, der in seiner neuen Patchworkfamilie eine neue Heimat sucht, einen guten Kontakt zu Chitras Töchtern herzustellen. Dieser wird zunichte gemacht, als er seine Stiefschwestern eines Tages dabei erwischt, wie sie die Fotos seiner Mutter betrachten. Geschockt von seiner aufkeimenden Erinnerung an seine Mutter entreißt er den Mädchen die Kiste mit den Bildern. Das Verhältnis zwischen Chitras Töchtern und Kaushik soll sich bis zu seinem Tod nicht erholen. Kaushiks Heimatlosigkeit ist der Grund, warum er sich Hema bis zum Schluss nicht öffnen kann. Sein Heiratsantrag am Schluss ihrer gemeinsamen Liebesgeschichte ist kein romantischer. „Heirate ihn nicht!“ sagt Kaushik zu Hema. „Er“ ist das Produkt einer Vernunftehe. Nach Hemas Beziehung mit einem verheirateten Mann, der Hema vergeblich Ehe und Treue verspricht, erscheint Navin in Hemas Leben. Hema denkt auch in ihrer Beziehung zu dem neuen Mann ständig an Julian. Sicherheit, nicht Liebe, wähnt sie in ihrer neuen Beziehung. Hema ist inzwischen Altphilologin. Nicht nur ihre Berufswahl deutet darauf hin, dass sie ihr Heil in der Vergangenheit sucht. Auch die arrangierte Ehe mit Navin scheint nicht vielmehr als ein Ersatz für Kaushik, Hemas erste große Liebe, zu sein. Auf der vorletzten Seite des 175-seitigen Bandes schreibt sie nach einem Seitensprung mit Kaushik: „Am Ende der Woche traf Navin ein, um mit mir die Ehe zu schließen. Sein Anblick erregte Abscheu in mir, nicht weil ich ihn betrogen hatte, sondern weil er noch immer atmete, weil er für mich da war und noch unzählige Tage zu leben hatte.“ So spricht keine Frau, die liebt. Nicht sie ist es, die Navin heiraten möchte, sie wird geheiratet und bleibt damit passiv. Es ist die Aussage einer Frau, die sich ihr ganzes Leben lang einer Liebe hingegeben hat, die sie nur einen kurzen Augenblick lang genießen durfte. In der deutschen Literaturwissenschaft gilt bei Autoren wie Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter „Heimat“ als Bewegung gegen „das Gleichmacherische“, „das die Eigentümlichkeiten der jeweils betrachteten Entität gefährden würde.“ Zivilisation gilt hier als Untergangsphänomen, dem man optimistisch gesehen die Kultur als Hort der Eigentümlichkeiten entgegenstellen oder dem man pessimistisch gesehen ausgeliefert sein müsse. „Heimat“ sehen die Autoren als Erneuerungs - und Gesundungsprogramm der Zivilisation. „Einmal im Leben“ dreht sich, auch wenn das Werk nicht der deutschen Literaturwissenschaft entspringt, um die Frage nach dem, was „Heimat“ für die Protagonisten bedeutet. Beide versuchen, heimisch zu werden, in Leben miteinander ihre Heimat zu finden. Doch sie kommen nicht beieinander an. Beide finden einen Beruf, sie als Altphilologin, er als Fotograf. Kaushik lernt die Welt kennen, bleibt sich selbst dennoch fremd, weil er den Verlust seiner Mutter nie verwinden, seine Stiefmutter nie akzeptieren kann. Hema sucht ihr Leben lang nach dem, der ihr einst als Teenager das erste Lächeln auf die Lippen zauberte. Kaushik bekennt sich erst spät bei einem Freund zu seiner Sehnsucht nach Hema. Auf seines Freundes Frage „Aber du denkst an jemanden. Sagt meine Frau. Du hast Sehnsucht“, antwortet er ehrlich vor ihm und vor sich selbst „Ab und zu.“ Für Hema ist es, als Kaushik ihr den Heiratsantrag macht, bereits zu spät. Sie ist nicht mehr bereit, ihr Leben zu ändern und geht die Ehe ein, die wie eine reine Vernunftehe erscheint. Sie spürt, dass sich Kaushik nie einer anderen Frau als seiner Mutter öffnen kann. Kurz bevor er ins Meer springt und den Tsunami als Drohkulisse ausnutzt, machen sein Freund Henrik und er eine Bootsfahrt. „Und für einen Moment sah Kaushik auch seine Mutter neben Henrik , sah ihren Körper noch voller Leben, eine kurze, nebelhafte Vision, die so mühelos verschwand wie die schillernden Fische, die ab und zu unter dem Boot herumhuschten.“ Im Tod schließt sich der Lebenszyklus von Werden und Vergehen, von Leben und Tod. Sie schließt mit den Worten „Es hätte Dein Kind sein können, aber das war es nicht. Wir waren achtsam gewesen, und Du hattest nichts zurückgelassen.“
Was will uns Jhumpa Lahiri, die selbst verheiratet ist und zwei Kinder hat, mit dieser traurigen Liebesgeschichte sagen? Es ist kein Zufall, dass die Autorin ihre Liebesgeschichte schrieb, als sie selbst schwanger war. Zur selben Zeit starben die Eltern ihres Mannes. Nicht nur die Entstehungsbedingungen des Erzählbandes weisen biographische Züge der Autorin auf. Auch Lahiri selbst ist die Tochter ostbengalischer Eltern. Inzwischen lebt und arbeitet die 1967 in London geborene Schriftstellerin in New York. Sie kennt die Schwierigkeiten der Einwanderer, in ihrer Heimat anzukommen. Ihre dunkle Hautfarbe leugnete ihre Herkunft nicht. Wie ihre Protagonistin Hema in „Einmal im Leben“ blieb sie bisher eine Fremde im eigenen Land. Diese Erfahrung prägt ihr schriftstellerisches Geschick und schenkt ihr den Stoff für Geschichten, die das Leben schreiben. Mit jedem ihrer Bücher beweist die Autorin einmal mehr, dass gute Literatur nicht schwierig sein muss. Mancher Kritiker behauptet von der Autorin, sie schaffe es, weder Humor noch Spannung in ihre Geschichten einzubauen. Tatsächlich ist „Einmal im Leben“ eine leicht zu lesende Liebesgeschichte. Diese Leichtigkeit, mit der Jhumpa Lahiri es schafft, ihren Figuren Leben einzuhauchen, ist es, was den Wert dieses Buches ausmacht. Insofern ist „Einmal im Leben“ eine Liebesgeschichte zwischen Hema und Kaushik, aber auch eine Liebesgeschichte Lahiris an ihre Leser.

Jhumpa Lahiri, Einmal im Leben; aus dem Englischen von Gertraude Krueger;
Alfred A. Knopf Canada
175 S., 16,90 Euro

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