Samstag, 7. März 2009

Karlsruher Köpfe

Marie Polzer - "Die Mutter Karlsruhes"
Ich setz’ mich zur Ruh’ und schaff’ was", sagt Marie Polzer, gelernte kaufmännische Angestellte und Inhaberin der "Tasse mit Pfiff" in der Waldhornstraße 31. Ganz pragmatisch ist der nächste Satz, der das Leben der am 28. April 1946 Geborenen auf den Punkt bringt: "Warum soll ich in Rente gehen? Ich habe kein Geld, als dass ich dies sowohl im Urlaub, als auch innerhalb der Rente ausgeben könnte." Und so ist die "Mutter Karlsruhes" von 5.30 Uhr bis abends gegen 21 Uhr auf den Beinen, um in ihrer rund 20 Quadratmeter großen Einraumküche zu backen und zu kochen, bis die ersten Gäste eintrudeln. Dabei hat der Gast die Wahl zwischen drei ständig wechselnden Suppen, dazu eine Scheibe Brot und ein herzliches Gespräch. Keine Frage: Wer statt einem fetten Burger eine Suppe aus frischen Zutaten in der Mittagspause bevorzugt, der ist hier richtig aufgehoben.
Dabei kann die mütterliche, resolut wirkende Dame eigentlich gar nicht kochen, wie sie sagt: "Die Rezepte habe ich von Freunden und Verwandten gesammelt und sie nachgekocht. Einmal wollten ein paar junge Männer unbedingt Milchreis essen. Seitdem ist der auch im Programm", schmunzelt sie. Studenten, aber auch hungrige Geschäftsleute gehen ein und aus in ihren Räumlichkeiten, die dank der frühlingshaften Blumentapete zum Entspannen einladen.Über reichlich Umwege kam die ungeduldige - wie sie sich selbst beschreibt - Marie Polzer zu ihrer jetzigen Tätigkeit. Geboren in der Tschechoslowakei kam sie mit drei Monaten nach Karlsruhe, genauer gesagt: in den Stadtteil Grötzingen. Dort besuchte sie später den Kindergarten, danach folgten acht Jahre Volksschule. Nach ihrer Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten arbeitete sie erst einmal als Rechnungsprüferin in einer Autowerkstatt.
Nicht nur das, Polzer hat in ihrem nun schon 48 Jahre andauernden Berufsleben jede Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren, am Schopf gepackt. So hat sie eine Zeit lang zum Beispiel Versicherungen verkauft, weil sie aufgrund von Umstrukturierungen ihre vorherige Firma verlassen musste. "Man muss schließlich seine Feinde kennen", lacht die 62-Jährige und umschreibt damit die Tatsache, dass sie eigentlich nie ein Freund von Versicherungen war.
Karlsruhe war allerdings nicht der einzige Lebensmittelpunkt, den die "Mutter Karlsruhes" jemals ins Auge gefasst hatte. "Ich hatte eigentlich vor, meinen Lebensabend in Spanien zu verbringen", erzählt Marie Polzer und lächelt. "Hier habe ich die Mutter einer Freundin versorgt, in der Hoffnung, durch ihre Tochter Arbeit zu finden."Nach drei Monaten kehrte sie aber wieder zurück nach Karlsruhe, weil auch diese Arbeit sie nicht auf Dauer begeistern konnte. Ende der 90er Jahre wechselte sie deshalb wieder die Branche und lud die Menschen in ihrem neu eröffneten Heißmangelgeschäft zum "Bügeln-Lesen-Wohlfühlen" ein. Eine weitere Person trug dabei zur Erheiterung ihrer Kunden bei - und wieder huscht ein Lächeln über das Gesicht von Marie Polzer: "Wir hatten da einen alten Poeten, der in meinen Räumlichkeiten seine Gedichtbände ausstellen wollte. Sein Motto: mit Gedichten die Liebe wecken."
Die Liebe des Vermieters zu seiner Mieterin konnte er allerdings nicht beeinflussen. Nach zwei Jahren lief ihr Mietvertrag aus und sie musste aus dem Gebäude raus. Nun stand sie auf der Straße und war arbeitslos.
Weil Beziehungen aber das Wichtigste im Leben sind, vermittelte einer ihrer Kunden ihr die Räumlichkeiten in der Waldhornstraße. Eine Bekannte lieferte ihr passend dazu die Idee einer - nicht wohltätigen - Suppenküche. Den Gedanken ans Kochen und Backen hegt sie Tag und Nacht. Schon lange bleibt bei ihrem zeitintensiven Job keine Zeit mehr für andere Tätigkeiten. "Früher habe ich gerne getanzt oder war in der Sauna. Heute schlafe ich dabei allerdings ein." Um sich dennoch fit zu halten, fährt sie sonntags gerne mit ihrer Freundin Rad, während sie samstags noch mit dem Einkauf für ihre Suppenküche beschäftigt ist.
Marie Polzer ist eine Dame, in deren Gesellschaft sich nicht nur ihr 38-jähriger Sohn wohlfühlt. So hätte sie bei einem Urlaub in Österreich "die Dame dort am liebsten dabehalten". Hätte sie dies getan, "wäre mein Leben sicherlich anders verlaufen. Leider musste ich zu der Zeit bereits mit 21 an die Rente denken und konnte nicht einfach so meine gewohnte Umgebung verlassen."Trotzdem hat sie stets spontan Gelegenheiten ergriffen und "da angepackt, wo es nötig war". Diese Tatkräftigkeit wurde ihr allerdings nicht in die Wiege gelegt: "In der Schule war ich schüchtern und ruhig. Zu meiner Zeit bei der Tanzgarde ’Fidelio’ mit süßen 16 habe ich die Leute dann unterhalten können", lächelt Polzer und wird mit diesem Lächeln sicherlich noch viele Kunden aus Nah und Fern erfreuen können. Und natürlich mit ihren Suppen. - Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier).Die Originalversion war mit einem einheitlichen Fragebogen an den Porträtpartner ausgestattet. -

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