Samstag, 11. November 2017

Verharren im Alten oder Umgang mit der Problematik aktueller Problemfelder – Darmstädter Oratorium „Der Himmel über Sodom“ animiert die Besucher, sich über aktuelle gesellschaftliche Fragen Gedanken zu machen

Was passiert, wenn man zeitgemäße Themen wie die der Flüchtlingskrise, des Bürgerkriegs und solche der Sexualität mit geschichtlichen Themen vermischt und sie dadurch noch einmal gezielter anspricht? Das Darmstädter Oratorium „Der Himmel über Sodom“ (nach der Bibel, Genesis 19), am 11.11.2017 uraufgeführt in der Pauluskirche nahe dem Böllenfalltor, greift die Themengebiete auf und gibt darauf einige mögliche Antworten für den geschätzten Zuhörer in der fast bis auf den letzten Platz bzw. die letzte Kirchenbank gefüllten Kirche. Das Libretto zum Oratorium stammt von Eric Giebel, Pfälzer, Schriftsteller, Literaturblogger und Übersetzer, der heute in Darmstadt lebt. Wolfgang Kleber, ein Darmstädter Organist, zeichnete sich für die Komposition und Leitung des Werkes verantwortlich. Als solcher dirigierte er nicht nur den zum größten Teil aus Mitgliedern des Paulus-Chores bestehenden Projektchor, der, wie das Programmheft verrät, insbesondere den Chor der Sodomiter, sondern einmal auch einen Soldatenchor darstellen soll. Und als solcher Dirigent empfängt er auch den überbordernden Beifall des Publikums am Ende der 90-minütigen Aufführung. „Das Musikwerk nimmt aktuelle Bezüge zur Frage auf, wie mit Asylsuchenden umgegangen werden soll. Es untersucht anhand der in der Bibel, im Koran und im Talmud erwähnten Geschichte von Sodom, ob ein Einzelner in einer zunehmend das Gastrecht ablehnenden Masse moralisch handeln kann“, erklärt das Programmheft. Besonders im Vorfeld und im Nachgang des Oratoriums wird die Frage damit beantwortet, dass Hilfsorganisationen wie Amnesty International auf die Problematik hinweisen und sich für entsprechende hilfsbedürftige Menschen einsetzen können. In der Einführung zum Stück, die eine dreiviertel Stunde vor Beginn des Oratoriums stattfindet, weist man darauf hin. Nachdem die letzten Klänge verhallt sind, bietet sich für die Besucher noch einmal die Gelegenheit, sich per Unterschriftenliste für besonders gefährdete Menschen einzusetzen.


Star des Abends: Renatus Mészár in der Rolle des Lots

In der Rolle des Lots, Richter von Sodom und Neffe des biblischen Abrahams, glänzt und zeichnet sich Bass Renatus Mészár, Opernsänger und seit 2012 Mitglied im Ensemble des Staatstheaters Karlsruhe, im Musikstück aus. Sein Bass steht und fällt je nach Stimmung des Stückes, gerade dann, wenn er das Volk zur Abkehr von Machtwillen, Missbrauch und Vergewaltigung bewegen möchte. Die eritreischen Engel Mebrathu (stimmgewaltig und überzeugend: Andreas Wagner, Tenor) und Sebhat (ausdrucksstark, gerade zu sexy und ebenfalls stimmgewaltig: David Pichlmaier) ergänzen ihn dazu perfekt, stehen sie doch zum Großteil sprichwörtlich auf einer höheren Ebene, einer Empore, über den Dingen. Nicht umsonst steht das Oratorium ganz im Sinne von Aischylos (vermutlich um 463 v. Christus), der dem Chor eine starke Position verleiht und ihn in die Rolle und tradierte Position des Handlungsträgers manövriert. Lot selbst steht dem Chor der Sodomiter mit seinem Chorführer am Ende geradezu hilflos gegenüber und avanciert zum tragischen Helden (durch schicksalhafte Verstrickungen). Am Ende siegt dennoch die Gewalt, die vor allem vom Chorführer (ebenfalls überzeugend: Mark Adler, Tenor) und von den Männern Sodoms, die Lots Haus überfallen, ausgeht. Überaus beeindruckend auch das jeweilige Vorspiel zu den insgesamt fünf Akten, beeindruckend interpretiert von Barbara Meszaros am Sopran, genauso überzeugend wie die Einstimmigkeit des gesamten Chores, der durch stimmliche Qualität alle Stimmungen von Trauer über Angst, Hoffnung und Wut transportiert.
Wieder einmal wirft eine solche Interpretation einer biblischen Geschichte die Frage auf, warum Gewalt auf der Welt statttfinden muss und wie sie zu bekämpfen ist, eben gerade im Falle der Flüchtlingsproblematik. Möglicherweise hat dieses Oratorium gerade den Darmstädter Bürgern Anlass gegeben, darüber nachzudenken. Ein Beitrag zum Reformationsjubiläum, wie auch ein Plakat im Eingang der Kirche mit den veranschlagten 95 Thesen Luthers beweist, dass es sich auf jeden Fall lohnt, darüber nachzudenken. Zeit, über aktuelle Probleme nachzudenken, sie zu lösen, ganz im Sinne des Reformators Martin Luther, dessen Thesenanschlag zu Wittenberg am 31.10.1517 begann.


Beispielhaft und nachahmenswert!


Weiterführende Links:

http://www.allgemeine-zeitung.de/freizeit/kunst-und-kultur/musik/der-himmel-ueber-sodom-neues-oratorium-in-darmstadt_18303618.htm


http://gott-neu-entdecken.ekhn.de/veranstaltungen-projekte/projekte-vor-ort/der-himmel-ueber-sodom-oratorium.html


http://www.mein-suedhessen.de/darmstadt/kultur/urauffuehrung-des-oratoriums-der-himmel-ueber-sodom-in-der-pauluskirche-darmstadt-d34383.html


http://www.echo-online.de/freizeit/kunst-und-kultur/musik/der-himmel-ueber-sodom-neues-oratorium-in-darmstadt_18303618.htm


- alle Links zuletzt abgerufen am 12.11.2017, um 00: 19 Uhr -


Bildquelle: Jennifer Warzecha