Samstag, 7. März 2009

Lesung Martin Walser in Pforzheim 2008

Martin Walser in Pforzheim

Geliebt und umstritten:
Erfolgsautor Martin Walser


Ist Martin Walsers neues Werk "Ein liebender Mann" (Rowohlt Verlag) "geschickt komponiertes Wechselspiel der Gefühle" oder die Darstellung Goethes als Feminist? Von Feuilletonisten vielfach diskutiert, gingen die zahlreichen Gäste seiner Lesung im Rahmen des "Autorenforums" der "Pforzheimer Zeitung" im Stadttheater auch dieser Frage auf den Grund.

Goethe liebt Frauen auch heute noch

"Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen." Mit ironisierendem Blick schaut der am vergangenen Montagabend sonderlich zerbrechlich und müde wirkende Autor von Büchern wie "Ein fliehendes Pferd" oder "Angstblüte" in die Reihen des fast bis auf den letzten Platz gefüllten Pforzheimer Stadttheaters. Und spielt damit auf ein Leitmotiv des neuen Romans an, der sogar Erheiterung hervorruft: "Herr Walser, heißt es ’als’ oder ’bis’?", will Moderator Eckard Mickel wissen und Walser erzählt von seiner Tochter, "die alle Arten von Deutsch kann, auch Hochdeutsch". Und weil den Moderator diese Antwort nicht befriedigt und er das Blickmotiv gar zum "Energiezentrum" des Buches erklärt, fügt Walser auf saloppe Art hinzu: "Manche Sachen muss man so nehmen, wie sie sind. ’Bis er sie sah’ - das ist doch schon was."

Walsers neuer Roman ist die Geschichte des Johann Wolfgang von Goethe, der im Jahre 1823 im Marienbader Restaurant "Goldene Traube" residiert. Die Romanfigur Goethe haust Tür an Tür mit seiner späteren Geliebten Ulrike von Levetzow und deren Eltern, in einem "so kleinen Zimmer, dass ich mir das gar nicht vorstellen kann", wie der Autor verwundert hinzufügt. Unzählige Gedanken schießen dem 73-jährigen Goethe durch den Kopf: "Wenn er, 73, sie heiraten würde...", die Geliebte des Grafen Klebelsberg war schließlich auch 30 Jahre jünger als er selbst.

Dass der wahre Goethe wahrlich kein Kostverächter war, beweist die Reihe seiner Liebschaften, zu denen neben Ulrike Marianne von Willemer, Sylvie von Ziegesar, Bettina Brentano und nicht zuletzt seine Frau Christiane gehören. Doch ist die Konstellation - älterer Mann verliebt sich in jüngere Frau - ein beliebtes literarisches Motiv unter anderem bei Cervantes. Dass eine solche Liebe aber gerade in der Literatur meist tragisch-komisch endet, zeigt Goethes Liebste: Ulrike bleibt Goethe nur für die Kraft eines Augenblickes erhalten. Schon als sie sein schmuckes Geschenk ablehnt, offenbart sie sich dem Leser als für diese Zeit eigentlich untypisch selbstbewusste Frau.
"Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide", umschreibt Walser dementsprechend die Situation des alten Goethe und deutet dem Publikum eine Pistole an, die er sich an die Stirn hält. "Lotte hat Albert die Pistole gereicht, damit er sie Werther reicht." Walsers Goethe leidet ähnlich wie die Werther-Figur des realen Goethe, aber er tut es auf eine Weise, die dem Genie der deutschen Sprache nachträglich Hochachtung zollen lässt.
Goethe leidet. "Bis jetzt waren es immer die anderen, die gelitten haben", heißt es im Roman. Aber Walser schenkt seinem von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "Literaturheiligen" betitelten Goethe sein neues Werk als Wiedergutmachung: In der Fiktion darf der gealterte Dichterfürst die Sehnsucht vieler älterer Männer wahr werden lassen und seine Liebesgeschichte mit Ulrike erleben.

"Alles, was Du ohne Brille siehst, steht Dir zu"

Zur Heirat kommt es aber nicht. Auch den stürmenden und drängenden Goethe holt das Alter ein. Er stürzt bei einem Kostümball, während eines Tanztees will ein Jüngerer Ulrike verführen. Nichtsdestotrotz macht der Hals über Kopf verliebte Goethe Ulrike einen Heiratsantrag, den diese jedoch erst erreicht, als sie sich bereits mit ihren Eltern auf der Weiterreise nach Karlsbad befindet. Walsers Goethe rechtfertigt seinen Misserfolg mit dem Brillen-Motiv, das Goethe selbst in seinen Romanen häufig verwendet. "Hättest du eine Brille getragen, hättest du die Familie erkannt, sie hätten zu dir kommen müssen, und das haben sie doch gar nicht gewollt", heißt es im Roman. Und der Autor ist froh, dass sein Held keine Brille getragen hat, "sonst wäre mein Roman anders ausgegangen". Gemäß dem Wilhelm aus Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahren": "Nichts darf man durch eine Brille sehen, alles, was Du ohne Brille siehst, steht Dir zu."
Eines ist klar: Walsers Roman ist, wie das Genre bereits verrät, keine authentische Schilderung des Johann Wolfgang von Goethe und seiner Liebeslust, wie wir es unzähligen Briefen und den Gesprächen des Dichterfürsten an seinen Vertrauten Eckermann entnehmen können. Walser entwirft von Goethe ein Bild entgegen jenem des Stürmers und Drängers, als der er zum Beispiel im "Götz von Berlichingen" erscheint.


Goethe stürmt im Roman zwar mit vollem Herzen vorwärts, in diesem Fall siegt jedoch der Verstand über die Begierde. Elke Heidenreich beschreibt es in der "FAZ" in Anlehnung an den Stil von Romanen wie Charlotte Roches "Feuchtgebiete" (ka-news berichtete) treffend: "Wenn sich die Seelen nicht küssen, befriedigt auch das Eierlecken nicht."


- Der Text erschien bei ka-news(heute zugehörig zum Südkurier). -

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